Publikation
01.06.2025
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Interview mit Derviş Hızarcı und Daniel Eliasson zur Rolle von muslimisch-jüdischen Allianzen
14. September 2024, redigiert und gekürzt
Vinya Mehta: Sie kommen gerade aus einer lebhaften Diskussion im Workshop mit Teilnehmenden unseres Festivals. Es ging um die Beweggründe für die Bildung von Allianzen, um mögliche Hindernisse auf dem Weg dorthin und um die ersten Schritte. Warum glauben Sie, dass wir muslimisch-jüdische Allianzen brauchen?
Daniel Eliasson: So wie die Lage derzeit in diesem Land ist, müssen sich eigentlich alle Minderheiten umschauen und nicht nur umschauen, sondern eigentlich alles, was irgendwie wie ein Verbündeter aussieht, wirklich mit den Händen greifen. Es wird immer schwieriger, als Minderheit in Deutschland zu existieren, und in einigen Bundesländern sehen wir das schon sehr deutlich. Ich habe immer weniger Verständnis dafür, wenn Minderheiten die kostbare Zeit verspielen, die sie haben, um aufeinander einzudreschen. Wir brauchen Allianzen, weil solche Beispiele natürlich sehr stark in die eigenen Communities hineinwirken, aber auch, weil sie nach außen wirken. Sie sind ein ganz wichtiger Baustein für eine neue deutsche Identität, die wir schaffen wollen. Das Ziel für all diejenigen, die an progressiven Zielen arbeiten, ist vor allem weg vom Völkischen, hin zu einem Verständnis von Deutschland als postmigrantische Gesellschaft. Das sind die Beispiele, die es braucht, damit alle verstehen, dass das funktioniert und – im Gegensatz zu einigen lauten Stimmen – dass Multikulti nicht gescheitert ist.
Derviş Hızarcı: Ich denke auch, dass der Schutz von Minderheiten immer notwendiger wird und dass es gleichzeitig immer schwieriger wird, zusammenzukommen, Kapazitäten und Ressourcen zu schaffen und zu bündeln. Als von Rassismus, von Antisemitismus, von Hass betroffene Gruppen bleibt uns nichts anderes übrig, als zusammenzufinden. Das ist auch wichtig, weil es ein wirksames Mittel gegen das ständige Gegeneinander-Ausspielen ist. Diese Dynamik schwächt nicht nur uns, die von Antisemitismus und Rassismus Betroffenen, sondern stärkt auch die anderen.
Vinya Mehta: Das Gegeneinander-Ausspielen von muslimischen und jüdischen Menschen beobachten wir derzeit besonders stark. Und diese Dynamik nimmt zu.
Derviş Hızarcı: Bei muslimisch-jüdischen Allianzen kommt noch hinzu, dass gerade diese Gruppen als zwei monolithische Blöcke wahrgenommen werden, die nie miteinander konnten, die jetzt nicht miteinander können. In diesem Sinne solidarisiert sich die Mehrheitsgesellschaft stärker mit der einen Seite und schließt die andere Seite aus. Bei diesem Spielchen dürfen wir nicht mitspielen. Wir müssen das entlarven und dagegen vorgehen. Zusammenschlüsse können gegen Antisemitismus, gegen Rassismus wirken – sowohl in der nichtjüdischen, nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft, aber auch gegen Ressentiments, Vorurteile und auch Hass in den eigenen Communities. Es gibt eigentlich nur gute Gründe für muslimisch-jüdische Allianzen, und wenn eine Sache viele gute Gründe hat, dann muss man sie anpacken und echt werden lassen.
Vinya Mehta: Im Sinne des „echt werden lassen“ habt ihr im Workshop auch eure Freundschaft als Beispiel genommen. Da habt ihr die Beziehung zwischen zwei Individuen als das kleinste Beispiel einer Allianz beschrieben. Könnt ihr darauf eingehen?
Derviş Hızarcı: Allianz ist immer so ein großer Begriff. In unserem Fall ist das einfach eine Freundschaft, die erwachsen ist. Mit und durch Humor, Empathie, aufeinander zugehen, sich öffnen, den anderen in seine Welt zu lassen und jeweils der Einladung des anderen zu folgen und in seine Welt hineingehen. Es ist diese Bereitschaft.
Daniel Eliasson: Aber auch ein Verständnis gemeinsamer Ziele ist entscheidend. Im Kleinen, an Projekten für die KIgA zum Beispiel, aber auch im Großen für die Gesellschaft und wie wir sie uns wünschen. Und der gemeinsame Wille, das irgendwie hinzubekommen. Diese Mischung macht es aus.
Derviş Hızarcı: Wir sind nicht nur in dieser Hinsicht unterschiedlich – er in seiner „Jüdischkeit“, ich in meiner „Muslimischkeit“, was immer das für uns bedeuten mag –, sondern auch in anderen Vorstellungen. Wir haben Meinungsverschiedenheiten zu einigen politischen und gesellschaftlichen Themen, doch wir achten sie, respektieren sie und tolerieren uns ständig. Das müssen wir wieder mehr möglich machen und zulassen. Die gleiche Meinung zu akzeptieren ist sehr einfach. Bei Akzeptanz geht es darum, etwas hinzunehmen, anzunehmen, zuzulassen, einen Umgang damit zu finden. Positiv, gerecht und auf Augenhöhe. Darauf kommt es an!
Vinya Mehta: Was ist euch aus eurer Erfahrung in der politischen Bildungsarbeit geblieben, um mit Unterschieden umzugehen und Akzeptanz auf Augenhöhe zu entwickeln? Was möchtet ihr anderen mit auf den Weg geben?
Daniel Eliasson: Zunächst muss man sagen, dass man nicht immer mit dem schwierigsten Thema anfangen muss, wenn es um Dialog, Begegnung oder Allianzen geht. Ich glaube nicht, dass es gewinnbringend ist, wenn man Palästinenserinnen und Musliminnen, die das Thema interessiert, und Juden*Jüdinnen zusammenbringt und sagt: „Okay, wer hat recht im Nahostkonflikt?“ Ich glaube, das ist Quatsch. Was ich auch schon jetzt öfter erlebt habe, ist, dass Derviş zwei Stunden über die Arbeit der KIgA, die Dialoge, die Projekte und die Arbeit zu Allianzen erzählt, und dann meldet sich irgendeine Person und sagt: „Ja, aber wie stehen Sie denn zum Existenzrecht von Israel?“ Dann denke ich mir: Hast du zugehört? Hast du die letzten zwei Stunden mal zugehört? Das muss halt in beide Richtungen funktionieren. Man sollte nicht erst mal versuchen, herauszukitzeln, wo es etwas Problematisches gibt und wo der Dissens ist. Man muss erst mal die Gemeinsamkeiten suchen. Das ist die Grundlage, damit muss es losgehen. Selbstverständlich muss man dann auch über das reden, was einen trennt. Aber dafür muss man erst mal eine Basis von Gemeinsamkeiten haben, damit das Trennende nicht gleich das Definierende dieser Beziehung wird, die man versucht aufzubauen.
Derviş Hızarcı: Ich finde, dass wir auch festhalten müssen, dass man nicht, um zu überzeugen, in den Dialog geht, sondern um überzeugt zu werden. Auch wenn man über den sogenannten Nahostkonflikt reden will, wie Daniel es gesagt hat, sollte man nicht erst einmal ein Bekenntnis abverlangen und einfordern. Sondern erst einmal zuhören und herausfinden, warum die Person vielleicht anders oder sogar falsch und problematisch denkt. Ich muss wissen, was meine Ausgangslage ist. Wir haben in unserer Arbeit sehr oft festgestellt, dass Menschen, die anfangs Vorbehalte, falsche Informationen und teilweise auch böse Einstellungen hatten, sich tatsächlich noch mal hinterfragt haben. Empathische Treffen, Auseinandersetzungen, Raum für Reflexionsprozesse, aber auch durchdachte Übungen und Methoden haben es ihnen ermöglicht, problematische Positionen zu verlassen. Es ist möglich, einseitige Perspektiven und Schwarz-Weiß-Denken aufzubrechen.
Vinya Mehta: Im dominanten Diskurs, der jüdische und muslimische Menschen und ihre Interessen als homogen und unvereinbar darstellt, sind muslimisch-jüdische Allianzen schwer vorstellbar. Welche Erfahrungen bestärken euch in der Überzeugung, dass mehr Zusammenarbeit möglich ist?
Derviş Hızarcı: Wir glauben nicht an etwas, was wir noch nicht erlebt haben, sondern wir glauben und praktizieren etwas, wovon wir wissen, dass es funktioniert. Viele Beispiele zeigen uns, dass es anders geht: Es waren JudenJüdinnen und Musliminnen, die zusammen auf Fahrräder gestiegen sind und Tandem gefahren sind, die in einer WG zusammengewohnt haben, die weit gereist sind und dadurch muslimisch-jüdische Allianzen gebaut und gebildet haben. Es sind auch die JudenJüdinnen und Musliminnen, die mal gemeinsam zu einer Moschee oder Synagoge gegangen sind oder zu Hause irgendein Fest gefeiert haben. Diese sehr heruntergebrochene individuelle Ebene ist für mich die höchste Ebene. Es gibt viele, viele Begegnungen, aus denen Freundschaften entstanden sind und teilweise auch, wo Menschen, die vorher ganz klar antisemitisch waren, anschließend nach längeren Phasen und Austauschprozessen sogar zu engagierten ehrenamtlichen Teamer*innen geworden sind, die sich gegen Antisemitismus einsetzen. Empathie, Wissensvermittlung, das Fördern von Widerspruchstoleranz, das Zeigen von Interesse, die Bereitschaft für Verständnis – all dies kann viel bewirken und das Böse bekämpfen.